Industrie

Maschine trifft Mensch: Vereint durch die Qualitätskontrolle

Woman does a quality Control
6 Minuten Lesezeit

  • Produktqualität ist für mitteleuropäische Unternehmen ein wichtiger Erfolgsfaktor im internationalen Wettbewerb.

  • Daraus ergeben sich hohe Investitionen in die Qualitätskontrolle

  • Die mögliche Lösung: Automation 

Produktqualität ist für mitteleuropäische Unternehmen ein wichtiger Erfolgsfaktor im internationalen Wettbewerb. Doch der Vorteil auf diesem Feld wird oft mit einer aufwändigen und damit kostspieligen Qualitätskontrolle erkauft. Automation kann hier helfen, doch der Trend hin zu Losgröße 1 erhöht die Komplexität deutlich. Ein neues Verfahren verspricht nun Abhilfe – und eröffnet neue Wege einer Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.

Im zunehmenden globalen Wettbewerb sieht sich die industrielle Produktion nicht nur einem stetig wachsenden Preisdruck ausgesetzt, sie muss auch immer höheren Qualitätsstandards genügen. Eine effektive und vor allem effiziente Qualitätssicherung wird daher zu einem entscheidenden Erfolgskriterium. Schon heute kommen dabei vielfach automatisierte Systeme zum Einsatz, um die aufwändige manuelle Qualitätskontrolle zu unterstützen. Diese Systeme lernen, zwischen guter und ungenügender Qualität zu unterscheiden, indem ihnen Lehrmaterial zur Verfügung gestellt wird. Ein Nachteil: Sie sind oft laserbasiert und damit teuer. Daher kommen hier vermehrt günstigere Kamerasysteme in Verbindung mit KI zum Einsatz. Für das Training dieser KI wird in der Regel auf „Supervised Learning“ zurückgegriffen.

Das Problem: Bei der Qualitätssicherung mit diesem aktuellen Standard des Supervised Learning muss das Lehrmaterial gekennzeichnete Beispieldaten für gute, aber auch für ungenügende Qualität enthalten. „Gekennzeichnet“ heißt in diesem Kontext, dass zusätzlich zu den Daten selbst auch die Information verfügbar ist, ob es sich um ein intaktes oder beschädigtes Produkt handelt. Im Klartext: Jede Bauteilvariante braucht ihr eigenes Lehrmaterial und ein eigenes Training. Vor diesem Hintergrund stellt die Industrie 4.0 mit ihrer zunehmenden Individualisierung von Kundenwünschen und der fortschreitenden Spezialisierung ein großes Problem dar. Beide Trends führen zu einer immer höheren Produktvielfalt und häufigeren Produktwechseln. Aktuelle intelligente Systeme zur Unterstützung in der Qualitätskontrolle geraten dadurch schnell an ihre Grenzen. Gerade bei Kleinserien kann der Aufwand hier schnell explodieren.

Supervised Learning benötigt viel Bildmaterial

Stellen wir uns hierzu vor, wir möchten im Rahmen der Qualitätssicherung auf einem Fließband optisch intakte von beschädigten Karosserieteilen unterscheiden. Damit diese Aufgabe automatisiert von der Maschine übernommen werden kann, müssen mit einem Supervised-Learning-Ansatz viele Bilder von intakten Karosserieteilen zur Verfügung gestellt werden und zusätzlich viele Bilder von möglichen Beschädigungen. Das mag im Fall eines einfachen Karosserieteils und wenigen typischen Beschädigungen mit vertretbarem Aufwand realisierbar sein. Doch was passiert bei Produktinnovationen aus F&E, Anpassungen an Kundenwünsche oder aber bisher unbekannten Beschädigungen?

Bei solchen Änderungen muss immer geprüft werden, ob ein Nachtraining notwendig ist, und gegebenenfalls neues Lehrmaterial zur Verfügung gestellt werden. Hierzu müssen F&E und Produktion eng miteinander synchronisiert sein. Das bringt zusätzlich zur Bereitstellung des Lehrmaterials einen erheblichen Mehraufwand mit sich. Diese Investition an Zeit und Kapazität lohnt sich ab einer gewissen Produktvielfalt oder Frequenz von Produktwechseln einfach nicht mehr. Hier bietet das sogenannte „Unsupervised Learning“ viel Potenzial für die Qualitätssicherung, da es ermöglicht, Lehrmaterial zur Verfügung zu stellen, ohne dass ein Mensch es händisch kennzeichnen muss. Dadurch werden menschliche Eingriffe und Absprachen erheblich reduziert!

Unsupervised Learning als nächster Evolutionsschritt

Der Ansatz des Unsupervised Learning existiert schon seit geraumer Zeit und stellt plakativ gesprochen den nächsten Evolutionsschritt nach dem Supervised Learning hin zum autonomen Maschinellen Lernen dar. Der Begriff „Unsupervised Learning“ ist dabei nicht beschränkt auf die Qualitätskontrolle, sondern eine Bezeichnung für jede Art von Maschinellem Lernen, für das keine gekennzeichneten Daten nötig sind. Am Beispiel der optischen Inspektion des Karosserie teils wird erkenntlich, welchen Vorteil dieser Ansatz bietet: Das Lehrmaterial würde hier ausschließlich aus Bildern von Karosserieteilen ohne Beschädigung bestehen. Es wird folglich keine manuelle Kennzeichnung benötigt, da alle Bilder die Kennzeichnung „intakt“ (oder „Gutteil“) tragen.

Doch warum wurden diese Vorteile nicht schon längst ausgenutzt? Damit eine Maschine selbstständig lernen kann, sind spezifische Algorithmen notwendig. Diese werden im Bereich des Maschinellen Lernens nicht rigoros aus mathematischen Herleitungen entworfen, sondern eher nach dem Trial-and-Error-Verfahren konstruiert. Im Bereich des Supervised Learning gibt es bereits viele Algorithmen für die Qualitätskontrolle, die in der Realität ihre Nutzbarkeit bewiesen haben. Bei den Unsupervised-Learning-Algorithmen sieht das aktuell noch anders aus.

Rege Forschungsaktivitäten bei Unsupervised Learning

Die steigende Nachfrage in diesem Bereich hat in den letzten Jahren für rege Forschungsaktivitäten gesorgt, die mehrere potenziell einsetzbare Algorithmen hervorgebracht haben. Einige davon haben wir an Beispieldaten getestet und auf ihre Anwendbarkeit in Produktion überprüft – mit Erfolg! So ist es uns beispielsweise gelungen, Anomalien auf Stahloberflächen zu erkennen, ohne manuelle Kennzeichnungen der Bilder zu benötigen.

Da der verwendete Datensatz ein für die Forschung bestimmter, sehr sauberer war, gingen wir noch einen Schritt weier: Mit günstigen Webcams erstellten wir unseren eigenen, realeren Datensatz von einfachen Holzplatten. Auch auf diesen qualitativ nicht hochwertigen Bildern konnte die Maschine selbständig Anomalien erkennen – ohne, dass ein Mensch in den Prozess eingreifen musste!

Damit eröffnen sich neue, kostengünstige Möglichkeiten, wie Mensch und Maschine bei der Qualitätskontrolle zusammenarbeiten können. Denkbar ist unter anderem, dass die Maschine für eine deutliche Reduktion der Fälle sorgt, die von einem Menschen bewertet werden müssen. Am Beispiel der Karosserieteile wäre das vorstellbar, indem die Maschine das betroffene Teil bei Beschädigungsverdacht markiert, damit es im weiteren Verlauf von einem Menschen begutachtet wird. Alle anderen Teile könnten ganz ohne menschliches Zutun, oder aber durch statistische Stichproben geprüft werden. Somit wäre der Mensch entlastet und gleichzeitig fokussiert auf die wenigen, potenziell beschädigten Fälle.

Unsupervised Learning nicht nur für Qualitätssicherung

Klar ist: Der Bedarf nach neuen Lösungen in der Qualitätskontrolle wächst stetig. Der Ansatz des Unsupervised Learning ist dabei nicht nur brandaktuell, sondern auch vielversprechend hinsichtlich eines höheren Grades der Automation. Unternehmen haben hier eine Möglichkeit, zum Vorreiter zu werden. Das bringt einen wertvollen Vorsprung vor der Konkurrenz, und das möglicherweise gleich mehrfach: Denn Unsupervised Learning ist auch für andere Anwendungen interessant, etwa um Anomalien in Zeitreihen – beispielsweise Daten von IoT-Sensoren – automatisiert zu erkennen. Höchste Zeit also, die Algorithmen von der Leine zu lassen!

Sie möchten sich zum Thema Data Science und unsupervised learning austauschen? Dann kontaktieren Sie uns sehr gerne!

Tobias Joppe
Ansprechpartner für Deutschland

Tobias Joppe

Director Customers Solutions

Tobias Joppe hat Automatisierungs- und Regelungstechnik an der TU Braunschweig studiert und war zuletzt Leiter eines Innovationsteams bei der Siemens AG. Seit 2008 ist er bei Zühlke, ist Partner und verantwortet als Director Customers Solutions den Trend Lead Data Science in Deutschland. In seiner Rolle baut er die Brücke zwischen Spitzentechnologie und aktuellen Kundenbedürfnissen. Gemeinsam mit Kunden übersetzt er Visionen und Ziele in eine strategische Roadmap und konkretes Projektvorgehen. Viele realisierte, interdisziplinäre Projekte bilden dabei die Basis seine Erfahrung.

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