Die Welt steuert auf eine Belastungsgrenze zu. Bis 2050 müssen mehr als 9,5 Milliarden Menschen ernährt werden – just in dem Moment, in dem Klimawandel, Flächenknappheit und Extremwetter unsere Ernährungssysteme beispiellos unter Druck setzen.
In dieser Folge von Tech Tomorrow spricht Zühlkes David Elliman mit Illtud Dunsford – Landwirt, Unternehmer und CEO von Cellular Agriculture Ltd. – über eine trügerisch einfache Frage: Ist die globale Ernährungskrise ein Problem, das allein die Technologie lösen kann?
Über Illtud Dunsford
Illtud Dunsford wuchs auf einem Rinderhof in Wales auf. Heute ist er CEO und Mitgründer von Cellular Agriculture Ltd., einem Unternehmen, das Hohlfaser‑Membran‑Bioreaktoren zum Wachstum von kultiviertem Fleisch entwickelt – Fleisch, das direkt aus tierischen Zellen produziert wird, ohne ein ganzes Tier aufzuziehen. Sein Blick ist geerdet: in der Tradition verwurzelt und zugleich auf die Zukunft gerichtet.
Wichtigste Erkenntnisse dieser Folge
Ergänzung, nicht Ersatz der Landwirtschaft
Kultivierte Lebensmittel entstehen direkt aus tierischen oder pflanzlichen Zellen. Sie bieten die gleiche Nährstoffzusammensetzung wie Fleisch und benötigen dabei deutlich weniger Ressourcen. Dunsford betont, dass es nicht darum geht, die traditionelle Landwirtschaft auszulöschen:
“Ich glaube nicht, dass irgendjemand meint, kultivierte Lebensmittel würden die Tierhaltung ersetzen. Es ist etwas Ergänzendes. Das Ziel ist dasselbe Produkt – nur effizienter hergestellt.”
Skalierung braucht Geduld – in Food wie in Tech
Die Reise von Cellular Agriculture begann 2015 mit einem nur 60mm langen Prototyp‑Reaktor. Fast ein Jahrzehnt später zeigt das Unternehmen, dass sich die Technologie zur industriellen Produktion skalieren lässt. Laut Illtud ist zentrale Erkenntnis jedoch: Fortschritt braucht Geduld.
„Die Herausforderung der letzten zehn Jahre war definitiv die Skalierung. Wir sind stufenweise von einer Größenordnung zur nächsten gegangen.“
Für Elliman ist diese Tatsache vertraut. In der Softwareentwicklung – von selbstfahrenden Autos bis zu KI‑Durchbrüchen – gelingen ambitionierte Visionen nur, wenn man sie in realistische, inkrementelle Schritte zerlegt. Beide Branchen zeigen: Evolution, nicht Revolution, bringt echten Wandel.
Silos aufbrechen, Fortschritt beschleunigen
Kultiviertes Fleisch ist keine einzelne Technologie – es ist das Zusammenfließen vieler. Zelllinien, Nährmedien, Gerüste (Scaffolds) und Downstream‑Processing müssen im Gleichklang funktionieren.
Die Parallele zu Ellimans Software‑Welt liegt nahe: DevOps und Plattform Engineering haben gezeigt, dass der Abbau von Silos die Lieferung beschleunigt. Die Branche für kultivierte Lebensmittel macht denselben Wandel durch.
Jenseits des Hypes
Anders als die meisten Branchen übersprang die kultivierte Ernährung den üblichen Pfad aus langsamer akademischer Vorarbeit und öffentlicher Förderung. Stattdessen kam früh eine Welle von Silicon‑Valley‑Investitionen. Das Resultat war ein Hype – viele frühe Firmen waren „wahrscheinlich zu früh dran, um eine Industrie zu formen“, erinnert sich Dunsford.
Jetzt schwingt das Pendel zurück. Regierungen – insbesondere im Vereinigten Königreich – fördern Forschung und Skalierung. Und Investor:innen suchen nachhaltiges Wachstum statt schneller Gewinne. Die Branche findet ihren Tritt.
Vom „Nice‑to‑have“ zum Muss
Derzeit gibt es noch Skepsis, und manche Verbraucher:innen empfinden einen „Igitt‑Faktor“. Aber der Klimawandel verändert das Narrativ rasant. Extremwetter bedroht schon heute Lebensmittel wie Rindfleisch, Kaffee und Schokolade.
„Wir dachten, wir bräuchten eine Menge neuer Technologien, aber bis wir dort sind, fühlt es sich wie ein Nice‑to‑have an“, sagt Dunsford. „Irgendwann wird es unverzichtbar.“
Technologie als Verstärker, nicht als Heilsbringer
Das Gespräch endet mit einer nüchternen Einsicht. Technologie kann helfen, aber sie rettet uns nicht allein: Lebensmittelverschwendung, Überkonsum und Ungleichheit sind menschliche und politische Herausforderungen – sie lassen sich nicht rein technisch lösen.
So wie soziale Medien Familien verbinden und zugleich Desinformation befeuern, oder KI-Produktivität steigert und zugleich Fähigkeiten bedrohen kann, wird auch kultivierte Ernährung unsere jeweiligen Tendenzen verstärken.
Elliman reflektiert: „Technologie ist ein mächtiger Verstärker – sie verstärkt menschliche Tendenzen, die guten wie die schlechten.“
Zurück zur Kernfrage. Dunsfords Antwort ist klar:
“Ist die globale Ernährungskrise ein Problem, das nur Technologie lösen kann? Ganz sicher nicht. Die Menschheit ist zu Schrecklichem fähig, aber wir haben auch großartige Ideen. Ich habe weiterhin Vertrauen, dass wir diese Herausforderungen lösen können.”