Der britische Data Act 2025 markiert einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie Daten geteilt und verwaltet werden. So wie gemeinsame Standards in der Telekommunikation und im Bankwesen Innovationen ermöglichten, könnten vertrauenswürdige Daten der Schlüssel zu glaubwürdigen Klimaschutzmaßnahmen sein. Doch angesichts fragmentierter CO₂-Berichterstattung und geringem Vertrauen in die Zahlen stellt sich die Frage: Können geteilte Daten wirklich helfen, Netto-Null zu erreichen?
In dieser Folge des Tech Tomorrow-Podcasts spricht David Elliman von Zühlke mit Gavin Starks darüber, wie der Austausch von Daten den Weg zu Netto-Null ebnen könnte.
Über den Gast: Gavin Starks
Gavin Starks baut seit über zwei Jahrzehnten Datenökosysteme für das Gemeinwohl auf. Vom Mitbegründer des Open Data Institute über die Gründung von Icebreaker One – einer Non-Profit-Organisation, die Daten-Governance für den Klimaschutz gestaltet – bis hin zum Co-Vorsitz der britischen Open Banking Standards war er an einigen der ambitioniertesten Open-Data-Initiativen des Landes beteiligt.
Jetzt überträgt er diese Erfahrungen auf eine der größten Herausforderungen unserer Zeit: den Wettlauf zu Netto-Null.
Wichtigste Erkenntnisse dieser Folge
Von Open Banking zu Open Carbon
Wenn die 2010er Jahre das Jahrzehnt des Open Banking waren, könnten die 2020er das Jahrzehnt der geteilten Klimadaten werden. Doch was bedeutet das konkret?
Starks erklärt: “Geteilte Daten sind Daten, die jeder kostenlos für jeden Zweck nutzen kann – aber die Klimaherausforderung geht darüber hinaus. Es geht um geteilte Daten: kommerzielle, sensible, genehmigte Daten, die sicher über Branchengrenzen hinweg fließen.”
Mit anderen Worten: Um Netto-Null zu erreichen, müssen Daten aus Produktion, Finanzen, Energie und Lieferketten sicher, transparent und skalierbar verknüpft werden.
Das ist nicht nur ein technisches, sondern vor allem ein Governance-Problem.
“Die Technologie gibt es seit Jahren“, sagt Starks. „Was uns gefehlt hat, sind Standards, Regulierung und Vertrauen.”
Die Dateninfrastruktur für Netto-Null
Geteilte Daten wecken oft Bilder von APIs, Dashboards und Data Lakes. Doch wie Starks betont, sind Daten keine Ware – sie sind Infrastruktur.
“Daten sind nicht das neue Öl. Daten sind Infrastruktur – wie Straßen oder Energienetze. Sie müssen geregelt, standardisiert und gepflegt werden, damit alle darauf aufbauen können.”
Dieser Perspektivwechsel – von Daten als Vermögenswert zu Daten als öffentlicher Infrastruktur – könnte die nächste Welle nachhaltiger Innovation prägen.
Als geteilte Daten im Bankensektor reguliert wurden, schuf das 7 Milliarden Pfund an wirtschaftlichem Wert und 14 Millionen aktive Nutzer. Nun soll der britische Data Act diesen Erfolg auf alle Branchen ausweiten und die Basis für eine datengetriebene grüne Wirtschaft schaffen.
Die „CO₂-Berichtskrise“ lösen
Wenn Daten die Strasseninfrastruktur sind, dann ist die CO₂-Berichterstattung der Stau darauf. „Wir haben eindeutig eine Krise in der CO₂-Berichterstattung“, sagt Starks.
Das Problem ist nicht der Mangel an Daten, sondern deren Zersplitterung und Inkonsistenz. Unterschiedliche Standards führen zu widersprüchlichen Ergebnissen – zwei Unternehmen können dasselbe Framework nutzen und zu gegenteiligen Schlüssen kommen. Das Resultat: Misstrauen, Greenwashing und ausbleibende Investitionen.
Das Perseus-Programm von Icebreaker One geht dieses Problem direkt an. Statt alles zu automatisieren, konzentriert es sich auf einen klaren Anwendungsfall: die Nutzung von Smart-Meter-Daten, um den CO₂-Fußabdruck eines grünen Kredits zu berechnen.
“Wir haben einen roten Faden geschaffen“, sagt Starks. „Vom Energieverbrauch über die nationale Infrastruktur bis zur CO₂-Buchhaltung – alles harmonisiert, alles nachvollziehbar.”
Ein kleiner Schritt, der sich zu einem ganzen Ökosystem verifizierbarer Klimadaten ausweiten könnte.
Lehren aus dem Open Banking
Die Parallelen zum Open Banking sind deutlich: Vor zehn Jahren mussten Banken gemeinsame Standards einführen, um Kunden den sicheren Datenaustausch zu ermöglichen. Anfangs unbeliebt, löste diese Maßnahme eine Innovationswelle aus.
Starks sieht dieselbe Chance für Klimadaten: „Wir haben nicht versucht, das ganze Meer zu kochen. Wir begannen mit einem einzigen Anwendungsfall – dem Kontowechsel. Als das funktionierte, folgte der Rest.“
Perseus folgt demselben Prinzip: klein anfangen, Wert nachweisen, dann skalieren. Elliman erkennt darin ein bekanntes Muster aus der Softwareentwicklung: sich auf häufige, alltägliche Probleme konzentrieren – nicht auf die seltenen.
Compliance ist der Boden, Chancen sind die Decke
Zu lange wurde Nachhaltigkeit als reine Compliance-Aufgabe gesehen. Starks will das umdrehen: „Compliance sollte der Boden sein. Die Chance ist die Decke.“
Standardisierte, geteilte Daten erleichtern nicht nur den Nachweis von Wirkung, sondern öffnen auch neue Märkte: vom grünen Kreditwesen über Versicherung bis hin zu Risikomanagement. Transparente CO₂-Daten könnten eine neue Klasse von Finanzprodukten ermöglichen, die Nachhaltigkeit mit besserem Kapitalzugang belohnen.
Das Potenzial ist enorm: Grüne Kredite im Vereinigten Königreich könnten 40 Milliarden Pfund erreichen – derzeit sind es etwa 1 Milliarde. Bessere Daten könnten diese Lücke schließen.
Das UK Data Act: ein Wendepunkt
Der britische Data Act ist ein Meilenstein: Es erweitert Datenrechte von Verbrauchern auf Unternehmen und macht standardisierte APIs zur gesetzlichen Pflicht über alle Branchen hinweg.
Für Ingenieur:innen bedeutet das laut Elliman einen Paradigmenwechsel: „Wir bauen keine Burgen mit Gräben mehr, sondern Brücken.“ Jedes System muss Daten sicher und interoperabel bereitstellen – eine architektonische Revolution, die ganze Industrien umgestalten könnte.
Für Politik und Aufsicht ist es laut Starks der Moment, Daten als Investition zu betrachten: „Vorstände müssen Daten als marktgestaltende Investition sehen, nicht als Kostenfaktor.“
Eine politikresistente Klimaökonomie aufbauen
Einer der eindrucksvollsten Momente im Gespräch ist, als Starks das Klimathema neu rahmt:
“We design everything at Icebreaker One to make it almost irrelevant whether or not you care about net zero. If we can join financial incentives with real-world environmental impact in an assurable way, it’s just better investment. Even if you don’t believe in climate change, you can’t deny the economics.”
Eine nüchterne, pragmatische Sichtweise, die Nachhaltigkeit von einer moralischen Pflicht zu einer ökonomischen Notwendigkeit macht.
Also: Ist Netto-Null ohne geteilte Daten möglich?
Nicht wirklich, sagt Starks. Aber das ist eine gute Nachricht.
„Wir haben mit Open Banking gesehen: Wenn wir Standards und gute Governance schaffen, können völlig neue Märkte entstehen. Dasselbe müssen wir nun für Energie-, Finanz- und Lieferkettendaten tun. Es ist nicht leicht, aber machbar.“
David Elliman stimmt zu: „Geteilte Daten sind technisch nicht zwingend nötig, aber sie machen alles viel einfacher. Je stärker unsere Systeme integriert sind, desto schneller kommen wir voran.“
Fazit: Geteilte Daten garantieren kein Netto-Null – aber ohne sie haben wir keine Chance.