Life Science und Pharma

Wearables: Medikamente zum Anziehen

Woman checks her wearable
6 Minuten Lesezeit

  • Da Wearables im Sport- und Fitnessbereich bereits gut etabliert sind, finden sie immer mehr Verbreitung, sogar bis zu dem Punkt, an dem sie Medikamente ersetzen sollen.

  • Drei Beispiele für solche Wearables zeigen deutlich die Vorteile für die Patienten, z.B. reduzierte Nebenwirkungen und erhöhte Adhärenz.

  • Auch für die Anbieter solcher Wearables gibt es große Vorteile - wobei die Möglichkeit, den Patienten neue Behandlungsmethoden anzubieten, gerade am Offensichtlichsten ist. 

Wie sieht die Pharmaindustrie von morgen aus? Findige Startups sind schon seit einigen Jahren eifrig dabei, auch in dieser Branche die traditionellen Geschäftsmodelle zu unterminieren. Heute wird das Bild immer klarer, wie die Digitalisierung sich in dieser Branche auswirken könnte.

Wearables für Pharma Kunden

Im Sport und Fitnessbereich sind Wearables schon sehr verbreitet, um Vitalfunktionen zu erfassen. Mit begleitenden Apps können die interessierten Sportler ihre Daten auch auswerten. Da es sich in der Regel aber nicht um zugelassene Medizinprodukte handelt, werden diese Daten in der Regel nicht für therapeutische Zwecke verwendet. Was noch vergleichsweise neu ist, sind Wearables, die eine solche Zulassung als Medizinprodukt haben. Einige setzen den Besitz eines Smartphones oder Tabletts voraus, was heute aber kein Thema mehr ist. Interessant ist, dass alle hier vorgestellten Wearables etablierte Arzneimittel ersetzen sollen.

Doch werden diese neuen Wearables überhaupt von den Patienten angenommen? Schließlich müssten sie die bekannten und erprobten Therapien ersetzen. Bringen die Patienten diesen Therapieformen wirklich mehr Vertrauen entgegen als den chemischen Wirkstoffen klassischer Medikamente? Wahrscheinlich schon. Denn die digitale Medizin bietet vielleicht einige interessante Vorteile. Der größte Vorteil wäre, wenn Wearables weniger Nebenwirkungen mit sich bringen würden als die klassische, wirkstoffbasierte Medizin. Dazu kommt: Wearables sind vergleichsweise leicht und unkompliziert anzuwenden. Und sie könnten bisherigen Therapieformen in ihrer Wirksamkeit sogar überlegen sein, da sie sich sehr exakt dosieren und an den individuellen Patienten besser anpassen lassen als heute beispielsweise Tabletten.

Dazu kommen noch weitere Vorteile, die die digitale Medizin generell bietet: Mittels Updates können die Anbieter schnell auf neue medizinische Erkenntnissen reagieren. Begleitende Apps können eine Art digitale Ergänzung zum Beipackzettel sein, um Patienten besser über eine Therapie zu informieren und ihnen Sorgen zu nehmen. Reminder können dabei helfen, eine Therapie zum besten Zeitpunkt anzuwenden. Das alles kann zu größeren Behandlungserfolgen führen und somit letzten Endes dazu, dass eine digitale Therapie öfter empfohlen wird.

Drahtloses Headset misst Gehirnströme

Ein Beispiel für eine solche digitale Therapie mit einem Wearable bietet NeuroPlus an. Das Unternehmen setzt innovative Neurofeedback-Technologie ein, um die Konzentrationsfähigkeit zu trainieren. Dies soll zum Beispiel ADHS-Patienten ermöglichen mit weniger Medikamenten auszukommen oder die Medikamente nach Rücksprache mit dem Arzt ganz abzusetzen. NeuroPlus hat hierzu vorsichtige Werbeaussagen und auch keine Zulassung als Medizinprodukt. Der Nutzer trägt ein drahtloses Headset, das die eigenen Gehirnwellen misst, während ein zugehöriges Smartphone-Spiel die eigenen kognitiven Fähigkeiten herausfordert. Die App wird in drei Varianten angeboten: Focus, Calm und Control.

Der Anbieter nutzt die Mobilfunk Plattformen von Apple und Android zur kostenlosen Verteilung der Apps und der Updates. Der Nutzer schließt jedoch direkt mit Neuroplus einen Vertrag über monatlich 30$ oder 50$ ab. Der Anbieter hat somit die vollen Erlöse ohne weitere Vertriebsstufen. https://www.neuro.plus/

Elektronische Wearables und andere Geräte, die auf unsere Nerven einwirken

Livia ist ein Wearable mit zwei Hautkontakten für die Bauchdecke, die mit Kabeln an ein kleines Gerät anschlossen sind, das am Gürtel befestigt werden kann. Es hat eine FDA Zulassung und soll PMS (Menstrationsschmerzen) vollständig unterdrücken, in dem es die Nerven in der Bauchregion entsprechend stimuliert. Dies soll die Weiterleitung der Schmerzinformation aus dieser Körperregion an das Gehirn unterdrücken. Im Gegensatz dazu wirken chemische Schmerzmittel nicht so lokal und verändern das Schmerzempfinden im ganzen Körper.

Livia zitiert einen Arzt dazu: “Über die Hälfte aller Frauen leiden an PMS und nehmen deshalb größere Mengen an Schmerzmitteln. Livia verwendet eine Methode zur Schmerzstillung, die ohne die Einnahme von Wirkstoffen funktioniert. Die Idee dahinter ist es, die ‚Schmerztore‘ zu schließen. Das Gerät stimuliert die Nerven und macht es dem Schmerz so unmöglich, durchzukommen. Die Methode von Livia hat in mehreren klinischen Studien ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt und ich kann dieses Gerät zur Linderung von PMS jederzeit empfehlen.“

Mehr über die Lösung von Livia im YouTube-Video des Anbieters:

Auf ein ähnliches Konzept setzt auch Bomedus. Der Hersteller bietet für verschiedene Körperregionen sogenannte „Bänder“ an, die auf der Haut getragen werden und über ein Kabel mit einer Steuereinheit verbunden sind. Sie sollen akute und chronische Schmerzen nachhaltig reduzieren. Kleine Elektroden senden feine Stromimpulse direkt unter die Haut. Ziel ist es, die Schmerzfasern zu beruhigen und das Schmerzgedächtnis zu verändern: Die Schmerzen werden einfach vergessen!

Mit dem Nackenband beispielsweise sollen Patienten Kopf- und Nackenschmerzen selbständig und von zu Hause aus behandeln. Auch hilft das Nackenband sehr vielen Migräne-Patienten. Bereits zwei kurze Anwendungen von 20 Minuten täglich sollen ausreichen, die Schmerzen in nur sechs bis acht Wochen deutlich zu reduzieren. Die Bänder sind klinisch getestet und CE-zertifiziert.

Wearables für Data Mining und neue Geschäftsmodelle nutzen

Die in den Beispielen aufgeführten Wearables versprechen neue Therapien mit einer guten und gezielten Wirkung und weniger Nebenwirkungen als mit herkömmlichen Medikamenten. Für die Patienten liegen die Vorteile auf der Hand. Doch wie sieht es mit den Anbietern aus?

Die profitieren natürlich in erster Linie davon, Patienten spannende und innovative neue Therapien zur Verfügung stellen zu können und somit einen Vorteil gegenüber dem Wettbewerb zu besitzen. Darüber hinaus können auch Wearables wertvolle Daten liefern. Die sind eine mögliche Basis für eine positive User Experience – etwa durch den Einsatz von Chatbots. Da fast alle Wearables über Apps verfügen, eröffnen sich darüber hinaus auch neue Vertriebs- und Bezahlmodelle. Hier hat die Pharmaindustrie den Vorteil, dass sie von anderen Branchen lernen kann, die in der Digitalisierung schon weiter sind.

Fazit:

Die Anbieter von Wearables können sich wertvolle Wettbewerbsvorteile sichern – was die Branche vielleicht nicht vollkommen umkrempeln aber doch zumindest dauerhaft verändern wird.