Versicherungen

Warum Versicherungen pragmatisch in die Plattformökonomie einsteigen sollten

In der Versicherungsbranche ist der Hype um die Themen digitale Plattformökonomie und Ökosysteme einer gewissen Ernüchterung gewichen. Dennoch sollten sich Versicherungen mit ersten konkreten Schritten zügig auf den Weg zu entsprechenden Geschäftsmodellen machen. Gefragt sind dabei ein stringentes Umdenken ebenso wie Bescheidenheit und Realismus.

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Viele der weltweit wertvollsten Unternehmen – darunter Apple und Amazon – basieren auf digitalen Plattformen, um die sich Ökosysteme gebildet haben. Ihnen ist es gelungen, für einen bestimmten Lebensbereich wie Smartphone-Nutzung oder Shopping zu einem globalen Standard zu werden und damit die Spielregeln für andere Unternehmen vorgeben zu können. Da liegt es nahe, dass auch Versicherungen davon träumen, sich ein eigenes Ökosystem aufzubauen. Nicht zuletzt diese Vorstellung hat digitale Plattformen ebenso wie Ökosysteme bereits vor einigen Jahren zu Hype-Themen der Branche gemacht, die auf Veranstaltungen und in Innovations-Workshops geradezu euphorisch diskutiert wurden. Einige konkrete Überlegungen und erste Gehversuche später mussten die Unternehmen jedoch erkennen: Für einen solch großen Wurf reicht weder die Strahlkraft ihrer Marke noch ihr technologischer Reifegrad aus. Bislang haben auch nur wenige Versicherungen ein größeres Investment – etwa in Form einer Ausgründung oder eines Joint Venture – getätigt.

Zu resignieren wäre ein großer Fehler

Aufgrund dieser Ernüchterung zu resignieren, wäre jedoch ein Fehler. Stattdessen sollten sich Versicherungen mit viel Realismus, pragmatisch und mit langem Atem auf den Weg in die Plattformökonomie machen. So bietet zum Beispiel nicht allein die im jeweiligen Ökosystem dominierende und schwer zu realisierende Orchestrator-Rolle große Chancen. Es gibt auch andere Rollen, die Erfolg versprechen. Zum anderen ist ein früher Einstiegszeitpunkt in die jeweiligen Ökosysteme wichtig. Denn aufgrund der komplexen und unvorhersehbaren Entwicklung ist die Entstehung eines Ökosystems kaum vorherzusagen – und die Kosten, den Einstieg zu verpassen sind hoch. Da Ökosysteme nicht künstlich aus dem Hut gezaubert werden können, sondern eher organisch wachsen, gilt es frühzeitig mit ihnen mitzuwachsen. „Ohne mit Ökosystemen verbunden zu sein, wird man mittelfristig den Zugang zu den Endkunden verlieren“, bringt es ein Unternehmen in einer qualitativen Studie zum Thema auf den Punkt, die Zühlke auf dem Schweizer Versicherungsmarkt durchgeführt hat.

Um einen erfolgversprechenden Weg für das eigene Unternehmen zu finden, sollten Firmen die grundlegenden Prinzipien erfolgreicher Plattformen kennen, um daraus die richtigen Schlüsse für die eigene Positionierung zu ziehen. So bilden sich erfolgreiche Ökosysteme stets um ein zentrales Kundenbedürfnis herum: Der Kunde möchte zum Beispiel schnell und bequem einkaufen oder von A nach B gelangen. Ziel ist es, dem Kunden eine nahtlose User Journey zu bieten – möglichst von einem einzelnen Point-of-Sale aus. Das wiederum heißt: In vielen Ökosystemen werden Versicherungen aus Kundensicht nicht im Mittelpunkt stehen können. Nämlich überall dort, wo die Versicherung nicht das Primärprodukt mit emotionaler Bindung zum Kunden ist – etwa im Bereich Urlaub oder Mobilität. Hier bucht der User zum Beispiel seinen Urlaub und kauft die Versicherung dazu. Ein wichtiges Fazit der Schweizer Zühlke Studie lautet: „Versicherungen spielen in fast allen Lebensbereichen eine Rolle, jedoch nur selten die aus Kundensicht führende. Sie müssen sich deshalb gut überlegen, wie sie sich in den verschiedenen Lebensbereichen positionieren.“

Ebenso muss den Unternehmen klar sein: Der Mehrwert eines Ökosystems entsteht dadurch, dass viele Teilnehmer zusammen ein Wertversprechen schaffen, für das ein Unternehmen allein gar nicht stehen könnte. Überschlägt man zum Beispiel, was eine umfassende App im Ökosystem Gesundheit leisten müsste, um potenzielle Kunden zu begeistern, kommt schnell eine große Bandbreite digitaler Services zusammen: Tracking von Vitaldaten, Online-Fitness-Kurse, KI-Diagnose-Tools, Übermittlung von Arztberichten – um nur eine Auswahl zu nennen. Ein solches Angebot kann ein einzelnes Unternehmen im Alleingang gar nicht bewerkstelligen. Gefragt ist die Kollaboration von Krankenhäusern, Ärzten, Technologieherstellern und Krankenversicherungen. Auch weitere Versicherungen könnten sich in diesem Umfeld präsentieren.

Auch im Hinblick auf die hohen Anforderungen, die an eine Plattform von Kundenseite gestellt werden, sollten Unternehmen Bescheidenheit und Realismus walten lassen und sich fragen: Worin bin ich wirklich gut? Was können andere besser? So wollten zum Beispiel die Automobilhersteller beim Ökosystem „Entertainment im Auto“ eine Orchestrator-Rolle einnehmen und haben eigene Systeme entwickelt. Durchgesetzt haben sich am Ende jedoch Apple Carplay und Android Auto. Schlicht und einfach, weil die User mit ihnen besser zurechtgekommen sind. Sehr genau gilt es an dieser Stelle also zu schauen: Was sind meine Kompetenzen? Wer sind meine Wettbewerber? Und was müsste ich investieren, um in einem bestimmten Bereich konkurrenzfähig zu werden?

Zulieferer statt Orchestrator

Deutlich wird auch: Die zentralen Grundsätze der Ökosysteme und die realistischen Möglichkeiten für Versicherungen stehen häufig dem eigenen Selbstbild diametral entgegen. So haben die Unternehmen aufgrund ihrer gewachsenen Kultur oftmals ein großes Selbstbewusstein und dementsprechend kein gesteigertes Interesse daran, sich in einem Ökosystem in die zweite Reihe einzugliedern. Ebenfalls zu schaffen macht ihnen bei einem solchen sogenannten Embedded-Insurance-Ansatz die Angst vor dem Verlust der Kundenschnittstelle. Schließlich haben Fach- und Führungskräfte in der Versicherungsbranche von Anfang an gelernt: Wer den Kundenkontakt verliert, wird austauschbar. Dennoch gilt auch hier: Sich entwickelnde Ökosysteme werden sich nicht an die Logik der Versicherungen anpassen.

Orientiert man sich also an der Mischung aus realistisch und erfolgsversprechend, ist derzeit in vielen Bereichen die Zulieferer-Rolle besonders spannend für Versicherer. Um diese ausfüllen zu können, müssen jedoch zunächst die technologischen Voraussetzungen geschaffen werden. Zentrale Fragen lauten: Kann ich mein Produkt mit den richtigen Schnittstellen und vollständig digital zur Verfügung stellen? Kann ich die benötigten Daten generieren? Und: Lassen sich die Prozesse schnell genug abwickeln? Denn nur wenn ein Unternehmen das schafft, ist die geforderte nahtlose Integration in das Ökosystem möglich.

Ecosystem Innovation Mindset: Grundsätze für den Erfolg in Ökosystemen

Um den großen Mehrwert von Ökosystemen für sich zu nutzen, benötigen Unternehmen nichts weniger als ein neues Mindset. Dieses bringt Entscheidungs- und Handlungsmuster mit sich, die oftmals im Konflikt mit dem bisherigen Selbstbild stehen.

  • An ecosystem is not about what a single company would like to achieve. It all boils down to meeting an existing customer need in the best possible way. Only then will the services the company is offering be successful on the market.

  • If you would like to be successful together with others in an ecosystem, you have to open up, make targeted inroads in new areas and – together with partners – identify pressing customer needs and find solutions to them.

  • In an efficient ecosystem, the players know the other participants’ strengths and are also capable of realistically assessing their own strengths and weaknesses. Having an inflated image of oneself is detrimental here.

  • In most cases, a company will be unable to be the initiator or orchestrator of a system itself. That is why it is important to be open to other roles – such as the supplier role – even if this goes against the previous thought patterns in the company.

  • A fundamental prerequisite for getting involved in a digital platform and becoming part of an ecosystem is smooth technological interfaces and processes. Otherwise, the company will not be considered as a partner.

  • As a rule, ecosystems are not formed at the push of a button; they grow organically. So it is important to get started with pilot projects early on – to gain experience or potentially even lay the foundation for an ecosystem.

Unternehmen sucht Ökosystem

Will ein Unternehmen eine Zulieferer-Rolle in einem Ökosystem einnehmen, gibt es zudem zwei Möglichkeiten: Entweder es integriert sich in ein bestehendes Ökosystem oder es streckt seine Fühler frühzeitig aus, um sich an entstehenden neuen Lösungen zu beteiligen. In diesem Fall ist Netzwerken ein besonders wichtiger Schritt – und zwar gezielt über den eigenen Versicherungskosmos hinaus. Potenziale können sich zum Beispiel im Gesundheits-, aber auch im Logistikbereich auftun. Interessant ist unter diesem Aspekt zum Beispiel das Engagement in entsprechenden Branchenverbänden.

Ein Beispiel für diese Vorgehensweise aus dem Bereich Industrieversicherungen liefert das Unternehmen HDI. So hat sich die Versicherung auf das Thema IoT (Internet of Things) spezialisiert und möchte von den Möglichkeiten profitieren, die die Vernetzung der Maschinen und anderer Gegenstände im Industriesektor mit sich bringt. Sie beschäftigt sich damit, wie sie mit den generierten Daten in Zukunft besser kalkulieren kann und will sich gleichzeitig in dem entsprechenden Ökosystem als innovativer Versicherer positionieren. Mit dem Unternehmen HDI Th!nx positioniert sich die HDI Gruppe zudem als Entwickler für IoT-Geschäftsmodelle, um gemeinsam mit Kunden neue Produkte und Services zu entwickeln.

Im Privatkundensektor wiederum hat sich die Schweizer Versicherung Mobiliar sogar an die Orchestrator-Rolle gewagt. Die Vision ihrer neuen Plattform „Liiva“ ist es, alle relevanten Funktionen und Anwendungen um das Thema Wohneigentum in einem Shop für private Wohneigentümer zu integrieren – von der Objektsuche über die Finanzierung oder Versicherung des neuen Eigenheims bis hin zur Verkaufsabsicht. Die Plattform Liiva soll ständig weiterentwickelt werden und so künftig den Kern des Ökosystems „privates Wohneigentum“ bilden. Ziel ist es, weitere Dienstleistungen, auch von Drittanbietern wie etwa Bauunternehmen, Steuerberatungen oder Architekturbüros, zu implementieren.

Es ist wichtig, dass Unternehmen solche konkreten Schritte gehen, bei denen nicht zuletzt auch Technologiepartner eine wichtige Rolle spielen. So hat Zühlke als Innovationsdienstleister die Liiva-Plattform innerhalb von acht Monaten entwickelt und es dem Unternehmen damit ermöglicht, das Angebot zügig weiterzuentwickeln. Ebenso wichtig ist es, sich nach strategischen Partnern umzusehen und auch ganz konkrete Fragestellungen zu klären: Welche vertraglichen Lösungen benötige ich? Welche Zusammenarbeitsmodelle gibt es? Nur auf diese Weise gelangen Unternehmen an einen Punkt, an dem sie über Innovations- über Ideenworkshops hinaus an konkreten Lösungen arbeiten. Auf einen Schlag wird dann auch klar: Ein kleines Projektteam in einem Innovationshub, welches nicht den benötigten Support der Organisation bekommt, wird eine solche Lösung nicht auf die Beine stellen können. Dafür braucht es passende (schlanke) Strukturen und ausreichende Investitionen.

Neben den strategischen Überlegungen und Networking ist es daher vor allem wichtig, dass Unternehmen konkrete Projekte starten und sich Schritt für Schritt weiterentwickeln – auch wenn das große Ziel am Ende noch gar nicht bis ins Detail definiert ist. Werden sie hingegen nicht aktiv, werden andere Wettbewerber aus den Bereichen Fintech und BigTech ihnen zuvorkommen und mit dem entstehenden Ökosystem mitwachsen.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Fachartikel in der "Versicherungswirtschaft".

Markus Reding, Head of Insurance and Partner
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Markus Reding

Managing Director Insurance Schweiz & Partner

Markus Reding leitet bei Zühlke in der Schweiz die Market Unit Insurance. Seit über 20 Jahren ist er in unterschiedlichen Führungspositionen für Innovation, Strategie, Produktmanagement, Software- und Geschäftsentwicklung verantwortlich und verfügt über Praxiserfahrung aus zahlreichen Digitalisierungsvorhaben. Den Herausforderungen und Markttrends in der Versicherungsbranchen mit innovativen Lösungen zu begegnen, treibt ihn an.

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Gabriele Baierlein, seit 2016 bei Zühlke, ist Director Business Development & Partner der Zühlke Gruppe. Sie verfügt über langjährige branchenübergreifende Vertriebs- und Führungserfahrung. Zuletzt hat sie bei Zühlke als Marktteam Lead die Geschäftsentwicklung und das Service Portfolio für die Konsumgüterbranche verantwortet. Aktuell gestaltet sie aktiv den Auf- und Ausbau des Segments „Financial Services“ mit Fokus auf die Versicherungsbranche in Deutschland. Darüber hinaus ist sie als Dozentin an der Hochschule München (FOM) und der Industrie- und Handelskammer in Bayern in den Bereichen Betriebswirtschaft und Projektmanagement tätig

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Ruchi ist eine erfahrene Tech-Expertin mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der IT-Branche. Sie war bereits bei globalen Finanzinstituten, Unternehmen und Start-ups tätig. Als Leiterin verschiedener interdisziplinärer Teams ist sie für die Entwicklung und den Support erfolgreicher digitaler Lösungen, Produkte und Plattformen im Financial-Services-Sektor verantwortlich. Ruchi brennt für die Lösung komplexer Probleme mithilfe innovativer digitaler Lösungen, die Transformation und Wachstum fördern.

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Martin Fenyö steht für Modernisierung und Transformation – sein Ziel ist immer, Innovationen erfolgreich zu machen. Als Business Development Manager ist er in Österreich für den Bereich Financial Services Industry zuständig und bringt dort seine Expertise bei unseren Kunden ein. Nach seinem Betriebswirtschaftsstudium konnte er jahrelang Erfahrung bei verschiedenen Technologieanbietern sammeln und war vor allem für strategische Projekte im Bereich Finanzindustrie tätig.

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Brewster Barclay kann auf eine lange Geschichte in der Entwicklung und dem Verkauf innovativer Software- und Hardwarelösungen in der Elektronik- und Internetbranche zurückblicken, einschließlich der Leitung eines Start-up-Unternehmens über 6 Jahre.  Er hat sich der Aufgabe verschrieben, Kunden bei der Entwicklung innovativer Lösungen in der Versicherungsbranche zu unterstützen, und hat dies außerhalb seiner Zühlke Verantwortung durch seine häufige Betreuung von InsurTechs gezeigt.

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