Digitalisierung und Disruption

Umsatz mit Digital Health generieren

Digitale Geschäftsmodelle für MedTech- und Pharmaunternehmen

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14 Minuten Lesezeit

Digitale Transformation: Die neue Ära im MedTech- und Pharmasektor

Digital Health (DH) ist im Healthcare-Sektor der Bereich, der wohl am stärksten wächst und das heutige Gesundheitswesen am meisten verändern wird. Nahezu alle etablierten Healthcare-Unternehmen haben diesbezügliche Programme und Partnerschaften geschaffen (mitunter auch wieder beendet), um ihr Leistungsangebot durch digitale Lösungen zu stärken und auszubauen.   

Trotz zahlreicher Vorteile für ihre Kund:innen – sowohl für Leistungserbringer:innen als auch indirekt für Patient:innen – sind MedTech- und Pharma-Unternehmen bei digitalen Gesundheitslösungen allerdings noch recht zurückhaltend. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, wesentliche Faktoren sind jedoch: 

  • Fehlende direkte Touchpoints mit Konsument:innen und/oder Patient:innen
  • Zunehmende regulatorische Anforderungen 
  • Herausforderungen bei der Umsetzung (etwa strategische Integration, Zuständigkeitsstrukturen, Skalierung von Pilotprojekten) 
  • Unklare Vorstellungen von Mehrwert, Geschäftsmodellen und ROI 

Insbesondere der letztgenannte Faktor – Unsicherheit in Bezug auf die potenzielle Wertschöpfung digitaler Geschäftsmodelle im Healthcare-Sektor – ist einer der meistgenannten Hindernisse auf dem Weg zu Digital Health. Viele MedTech- und Pharma-Unternehmen betrachten digitale Gesundheitslösungen immer noch als optionales „Nice-to-have“ statt als integralen Bestandteil digitaler Umsatzmodelle. Mitunter werden diese Lösungen sogar als „Margenkiller“ verworfen statt als das gesehen, was sie wirklich sind – potenziell mächtige Umsatztreiber.  

Das Potenzial von Digital-Health-Lösungen für MedTech- und Pharma-Unternehmen ist offenbar nicht immer klar ersichtlich. Durchaus verständlich, schließlich sind Geschäftsmodelle im Healthcare-Sektor oft komplex, was vor allem auch an ihrer oft indirekten Natur liegt – die Nutzer:innen sind nicht immer die direkten Kund:innen. Dazu kommt, dass ein und dieselbe Lösung gleich für mehrere Zielgruppen – Patient:innen, Leistungserbringer:innen und Kostenträger – relevante Vorteile bieten muss. Wir wollen Klarheit in diese oftmals verwirrende Materie bringen und in diesem Beitrag Key Learnings aus unserer Healthcare-Beratung der letzten Jahre teilen.

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Digitale Geschäftsmodelle als Gamechanger im Gesundheitswesen

Der Schwerpunkt dieses Artikels liegt auf der strategischen Entwicklung von Geschäftsmodellen für digitale Gesundheitslösungen vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen. Der Artikel ist als strukturierte Orientierungshilfe konzipiert, mit Beispielen und Success Stories aus der Praxis. Da immer wieder neue Modelle entwickelt werden, können wir naturgemäß keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, doch gibt es grundsätzliche Muster, die wir im Folgenden aufzeigen werden.  

Unser Fokus liegt auf der Pharma-, Diagnostik- und MedTech-Branche (die wir als MedTech- und Pharmabranche zusammenfassen) und nicht auf Startups, da deren Geschäftsmodell oft auf einen Verkauf abzielt. Der Artikel richtet sich insbesondere an Strategie- und Produktteams sowie an Teams in F&E und im Innovationsmanagement.  

Digital Health ist ein weites Feld, daher konzentrieren wir uns speziell auf Lösungen für Nutzer:innen, das heißt, auf Telemedizin, digitale Therapeutika (DTx) und ähnliche Produkte und Dienstleistungen, nicht auf Technologien zur Verbesserung interner Prozesse in den Bereichen Forschung, klinische Studien oder Marketing und Vertrieb.  

Und damit steigen wir gleich in den ersten Punkt ein – dem Vergleich von direkten und indirekten digitalen Geschäftsmodellen im Healthcare-Bereich: 

Der Prozess der indirekten und direkten Einnahmen in einer Infografik. Direkte Einnahmen umfassen Kostenerstattung, D2C und B2B. Erstattung bedeutet Erstattungswege mit vielen Möglichkeiten wie stationäre Krankenhausversorgung und ambulante Therapien. Es gibt mehrere direkte Umsatzwege für digitale Gesundheitsgeschäftsmöglichkeiten.

Direkte vs. indirekte digitale Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen

Die Entwicklung digitaler Lösungen für Patient:innen beginnt oft mit der Analyse unerfüllter medizinischer Bedürfnisse im Laufe der Patient Journey. Für Innovationsmanager sind dies „Nutzerbedürfnisse“. Ein solcher nutzerzentrierter Ansatz ist absolut empfehlenswert, gekoppelt mit strategischen Überlegungen, wo und warum Ihr Unternehmen diese Bedürfnisse lösen sollte. Parallel dazu müssen auch die Nutzerbedürfnisse der medizinischen Leistungserbringer:innen mit einfließen. Für erfolgreiche Innovationen sind zudem noch zwei weitere Dimensionen zu beachten: Machbarkeit und Nachhaltigkeit. Die Machbarkeit betrifft technische, ethische, rechtliche und regulatorische Aspekte. Die Nachhaltigkeit bezieht sich auf die Wertschöpfung für das Unternehmen: Wie kann eine Lösung auch langfristig Umsätze generieren? Dabei ist zunächst zwischen direkter und indirekter Umsatzgenerierung zu unterscheiden. Abbildung 1 veranschaulicht diese mit den jeweiligen Kategorien und typischen Geschäftsmodellen.  

Direkte Umsätze als eigenständiges Geschäftsmodell

Lösungen, die direkte Umsätze generieren, sind ein von anderen Produkten (Medizinprodukten oder Medikamenten) unabhängiges Geschäftsmodell. Sie lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Die erste umfasst die vom etablierten Gesundheitssystem vergütungsfähigen Lösungen. Die zweite Kategorie sind Direct-to-Consumer-Lösungen (D2C), die direkt an Endverbraucher:innen (meist Patient:innen) verkauft und von diesen bezahlt werden. Achtung: D2C ist nicht gleich OTC – bei D2C handelt es sich um ein Geschäftsmodell, OTC (rezeptfreie Medikamente) hingegen beschreibt eine Kategorie von pharmazeutischen Produkten. Als dritte Kategorie gibt es schließlich die B2B-Lösungen, die Direktumsätze aus dem Verkauf an Unternehmen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen und Organisationen generieren. 

Indirekte Umsätze als Booster für den Verkauf etablierter Produkte

Zusätzlich zu direkten Umsätzen können MedTech- und Pharma-Unternehmen mit DH-Lösungen auch indirekt den Verkauf etablierter Produkte steigern, etwa bei Medikamenten, Medizinprodukten und anderen digitalen Dienstleistungen. Wir verwenden hier übrigens bewusst die Bezeichnung „etablierte Produkte“ statt „Kerngeschäft“, da DH-Lösungen im Rahmen eines entsprechenden Change Management selbst als „Kernprodukte“ positioniert werden sollten.  

Während es für direkte Umsätze nur eine begrenzte Anzahl von Geschäftsmodellen gibt, sind für indirekte Umsätze zahlreiche Optionen möglich – je nach Lösung, Erwartungen und Reifestadium des Unternehmens. Eine einzige Lösung kann durchaus mehrere Umsatzströme aus verschiedenen Kategorien generieren. Viele Unternehmen fahren anfangs daher zweigleisig mit sowohl direkten als auch indirekten Modellen und entscheiden sich erst später für die letztlich erfolgreichere der beiden Formen.  

Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten ist es für Unternehmen sehr wichtig zu identifizieren, welche dieser Chancen die besten Aussichten auf Erfolg haben. Da die Wertschöpfung insbesondere bei der indirekten Umsatzgenerierung stark vom jeweiligen Kontext abhängt, gehen wir im Folgenden auf DH-Lösungen jeweils aus der Sicht der Pharma- und der MedTech-Branche ein. 

Digitale Geschäftsmodelle aus MedTech- und Pharma-Perspektive

Beide Branchen haben zum Ziel, mit Lösungen für Patient:innen und Gesundheitsdienstleister:innen die medizinische Versorgung zu verbessern, trotz ihres begrenzten direkten Zugangs zu Patient:innen. Dennoch bestehen grundlegende Unterschiede in der jeweiligen Ausgangslage von Pharma und MedTech, und diese zeigen sich auch in den DH-Lösungen. Das Anbieterspektrum ist in beiden Branchen allerdings groß, weshalb wir im Folgenden nicht auf Einzelfälle, sondern auf beobachtete typische Muster eingehen.

  • MedTech profitiert bei der Entwicklung digitaler Angebote von interner Expertise

    Viele MedTech-Unternehmen haben (vernetzte) Medizinprodukte im Portfolio und verfügen daher über firmeninterne Expertise für die Entwicklung, das Go-to-Market und das Life-Cycle-Management von digitalen Technologien, Dienstleistungen und generierten Daten. Im Gegensatz dazu ist das Management digitaler Lösungen für viele Pharmaunternehmen eher Neuland, vor allem, wenn ihnen die Erfahrung mit kombinierten Produkten, Drug-Delivery-Lösungen oder anderen Geräten fehlt. „Nutzerzentrierung“ ist zwar ein Schlagwort auf nahezu jeder Pharma-Website, dieses schlägt sich jedoch nicht in entsprechenden digitalen Lösungen für Patient:innen nieder.  

  • Pharma fokussiert auf Dienstleister statt Patienten und kämpft mit strategischer Positionierung

    Die Margen sind bei etablierten Produkten immer noch hoch, und das Verständnis rund um DH-Lösungen ist oft gering – und damit auch deren Akzeptanz. Derartige Produkte werden weder als Konkurrenz empfunden (auch wenn einige DTx dafür durchaus in Frage kämen) noch als ausreichend starker Grund, um das Produktportfolio zu diversifizieren oder Marktwachstum zu fördern bzw. Risiken zu verringern. Die mangelnde Beachtung dieser Lösungen liegt allerdings nicht nur an den Unternehmen selbst, sondern auch am Feedback ihrer wichtigsten Kunden – der Leistungserbringer:innen. Dies äußert sich dann in den Zuständigkeitsstrukturen, den zugewiesenen Budgets und den Erwartungen der Geschäftsleitung. Die Pharmaindustrie kämpft daher immer noch oft mit ihrer strategischen Positionierung im Digital-Health-Bereich und folglich auch mit der Wahl des in ihrem Fall passendsten digitalen Geschäftsmodells.  

  • MedTech: Fokus auf direkte Umsatzgenerierung aus digitalen Lösungen

    Aufgrund der starken Abhängigkeit von – und der Erfahrung mit – Kostenvergütungssystemen und deren Stakeholdern liegt der Fokus der MedTech-Branche bei digitalen Gesundheitslösungen zwangsläufig auf direkten Umsätzen. Unternehmen müssen hier, auch um der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen Rechnung zu tragen, neue Angebote entwickeln und daraus (hohe) Umsätze generieren. Andere Geschäftsmodelle mit direkten Umsätzen, einschließlich D2C, werden eher nur als Tests genutzt, um Erfahrungen im Umgang mit direkten Patientenkontakten zu sammeln.  

  • Pharma: Fokus auf indirekte Umsätze durch erhöhten Medikamentenverkauf

    Pharmaunternehmen hingegen konzentrieren sich meist auf die indirekte Umsatzgenerierung. Ihr Ziel ist die Maximierung des Medikamentenwerts, etwa indem Patient:innen schneller und länger behandelt werden, zum Beispiel durch eine frühere Diagnosestellung oder bessere Adhärenz. Digitale Gesundheitslösungen werden daher in erster Linie genutzt, um den Medikamentenabsatz zu steigern. Direkte Umsatzmöglichkeiten werden dabei vernachlässigt, sogar dann, wenn ein erfolgreiches und skalierbares Geschäftsmodell möglich wäre. Die große Herausforderung liegt dabei darin, hier entsprechende Ziele und Erfolgsmessgrößen zu definieren. Übrigens: Diese ausgeprägte Fokussierung auf indirekte Umsätze bedeutet nicht, dass Umsatzwachstum durch Digital-Health-Lösungen unerwünscht ist oder nicht angestrebt wird. Lediglich die Prioritätensetzung ist anders als bei MedTech-Unternehmen, denen der mächtige Hebel der Medikamente fehlt.  

    Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Ausgangssituationen von Pharma und MedTech, gehen wir im Folgenden näher auf die direkten und indirekten Geschäftsmodelle ein, die häufig von Anbietern digitaler Gesundheitslösungen gewählt werden. 

Direkte Geschäftsmodelle

Direkter Geschäftsmodelle drehen sich um das Prinzip, digitale Gesundheitslösungen zu schaffen und anzubieten, für die Nutzer bereit sind, direkt zu bezahlen. Dies umfasst eine Reihe von möglichen Lösungen angefangen bei Telemedizin und digitalen Therapeutika (DTx) bis hin zu Wellness-Apps. Erfolgreiche Lösungen sollten spezifische Nutzerbedürfnisse ansprechen und Bequemlichkeit, personalisierte Betreuung oder idealerweise einen neuen Ansatz zur Verwaltung von Gesundheit und Wellness außerhalb traditioneller Gesundheitseinrichtungen bieten. 

Erstattung durch Krankenkassen oder andere Akteure

Hierbei handelt es sich um das meistgenutzte Modell, wie Medtech- und Pharmaunternehmen Einnahmen erzielen. Wir werden in diesem Kapitel nicht tiefer auf dieses Thema eingehen, da diese Modelle stark von den Vorschriften des lokalen Gesundheitssystems abhängen. Die potenziellen Erstattungswege in Deutschland und der Schweiz haben wir in der englischsprachigen PDF-Version dieses Artikels dargestellt. 

D2C-Modelle

Das Direct-to-Consumer-Modell ist für digitale Lösungen in Branchen außerhalb des Gesundheitswesens bereits gut etabliert. Die Dienste sind anfangs oft kostenlos, zumindest in der Basisversion, fortgeschrittene Funktionen wie personalisierte Analysen oder Erweiterungen stecken allerdings häufig hinter Bezahlschranken. Im Gesundheitswesen ist dieses Modell wesentlich komplizierter. Der Hauptgrund: Für Endverbraucher ist es oft ungewohnt, selbst für Gesundheitsdienste zu bezahlen. Die Vorbehalte sind allerdings von Land zu Land verschieden und hängen von der angebotenen Leistung und der digitalen Kompetenz der Verbraucher ab. Unsere jüngste Digital Health Studie in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Großbritannien hat beispielsweise ergeben, dass eine Mehrzahl der Befragten es ablehnt, für Gesundheitsapps Geld zu bezahlen und erwarten, dass die Kosten von ihrer Krankenversicherung bzw. dem NHS getragen werden.  

Ein interessanter Therapiebereich für D2C-Modelle ist etwa das Thema Fruchtbarkeit. Menschen mit Kinderwunsch sind in der Regel sehr motiviert und folglich bereit, Zahlungen (oder Zuzahlungen) für (digitale) Leistungen und Behandlungen zu leisten. Ähnliches gilt übrigens auch für Haustiere, hier ist oft ebenfalls eine emotional motivierte Zahlungsbereitschaft vorhanden. Einige MedTech- und Pharma-Unternehmen experimentieren in diesem Therapiebereich und sammeln Erfahrungswerte dazu, wie sie die Konversionsraten von kostenlosen zu kostenpflichtigen Versionen mit direktem Nutzerzugang steigern können. Ein interessanter Nebeneffekt ist, dass digitale D2C-Kanäle, vor allem soziale Medien, zusätzlich als Werbung (soweit das Heilmittelwerbegesetz dies zulässt) oder zur Rekrutierung von Patient:innen genutzt werden können. Generell ist D2C oft eines von mehreren verwendeten Modellen, insbesondere bei Startups, die versuchen, durch Lifestyle-Apps für Verbraucher schnell Akzeptanz zu gewinnen und später auf andere Möglichkeiten der Umsatzgenerierung umzusteigen. MedTech- und Pharma-Unternehmen befinden sich bei diesem Modell im Allgemeinen noch in der Experimentierphase. 

B2B-Modelle

Die Erzielung direkter Umsätze durch den Verkauf von Lösungen oder Daten an andere Unternehmen ist ein weiteres Geschäftsmodell im Digital-Health-Bereich. MedTech-Unternehmen mit (vernetzten) Produkten nutzen häufig dieses Modell, um ihre Angebote im Rahmen von Ausschreibungen an Krankenhäuser zu verkaufen, die sich die Kosten dann aus einem der Vergütungssysteme zurückholen. Zudem sind digitale Gesundheitslösungen, die Krankenhäusern Effizienzsteigerungen in Aussicht stellen, auf dem Vormarsch. Allerdings scheint Effizienzsteigerung an sich kein ausreichend überzeugendes Angebot zu sein: In der Regel verlangen die Krankenhäuser für solche Produkte auch eine gesicherte Form von Kostenerstattung. Einige Anbieter verwenden daher ein Value-based-Modell, bei dem sie einen Teil der erzielten Einsparungen erhalten. Von diesem Modell raten wir allerdings eher ab, und zwar nicht nur wegen des generellen Risikos, sondern auch wegen der Schwierigkeit, an Daten zu gelangen, die derartige Einsparungen belegen.  

Andere Anbieter verkaufen ihre Lösungen in Form von Corporate Health Services an andere Unternehmen. Gerade Startups bevorzugen häufig solche B2B-Modelle. Beispiele hierfür sind der Verkauf von (exklusiven) Lizenzen für White-Label-Lösungen für Handy-Apps oder APIs an Pharma-, MedTech- oder andere Digital-Health-Anbieter. Thryve etwa ist so ein API-gestütztes B2B-Lizenzmodell. Ein interessantes B2B2C-Modell ist zudem jenes von Floy. Deren KI-Lösung für Radiologen erkennt Anomalien zusätzlich zur eigentlichen medizinischen Indikation – so erkennt sie beispielsweise Osteoporose auf Aufnahmen, die wegen eines Verdachts auf Lungenentzündung erfolgt sind. Der Service wird von den Patient:innen bezahlt, die von dem Vorteil profitieren, dass Anomalien ohne zusätzlichen Aufwand erkannt werden. Die Radiologen ihrerseits profitieren von einer besseren Diagnostik, einem guten Ruf und einer Beteiligung an den Gebühren.  

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Darüber hinaus werden auch etablierte Modelle aus Bereichen außerhalb des Gesundheitswesens genutzt, darunter Pauschalpreis- oder Pay-per-Use-Modelle für Software-as-a-Service (SaaS) im klinischen Bereich. Der Erfolg des Weltmarktführers Epic und die jüngste Übernahme von One Medical durch Amazon – beide liefern Software-Suiten für Krankenhäuser und Arztpraxen – sprechen für sich. Im Kern nutzen diese Anbieter elektronische Patientenakten auf einer Datenplattform, die sich mit Diensten wie Terminplanung, Telemedizin und mehr über die gesamte Patient Journey erstreckt. Durch diese Verzahnung von Online- und Offline-Diensten tragen sie wesentlich zu einer integrierten medizinischen Versorgung und einer optimierten Patient Experience bei. Für MedTech und Pharma lohnt sich die Entwicklung eigener Lösungen dieser Größenordnung in der Regel nicht, die Integration ihrer (punktueller) Lösungen in solche Systeme und die Nutzung eines ähnlichen Umsatzmodells sind hingegen durchaus machbar und empfehlenswert. 

Ein häufiges Thema ist auch die Idee, Daten an andere Unternehmen zu verkaufen, insbesondere wenn im Laufe der Zeit große Datenbestände zum Beispiel durch vernetzte Medizinprodukte oder mobile Patienten-Apps gesammelt wurden. Allerdings stoßen Unternehmen dabei schnell an Grenzen, entweder aufgrund rechtlicher Hürden (beispielsweise eine unzulässige Sekundärnutzung) oder weil sie die spezifischen Bedürfnisse der potenziellen Kunden nicht ausreichend gut kennen (etwa therapeutische und arzneimittelspezifische Angaben für Pharmaunternehmen). Auch der Verarbeitungsgrad der Daten ist entscheidend: Handelt es sich um Rohdaten oder abgeleitete Daten? Der Unterschied ist enorm. Zudem fehlt vielen das Wissen, wie sie aus den angebotenen Daten einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen können. Wobei das kein neues Phänomen ist – Daten aus medizinischen Datenbeständen sind zwar oft vorhanden, werden aber nur unzureichend genutzt. Kunden über den Wert solcher Daten aufzuklären, insbesondere wenn sie auf diesem Gebiet keine tiefe Expertise besitzen, ist daher erfolgsentscheidend. Als Beispiel für eines der erfolgreichsten Datenverkaufsmodelle im Gesundheitswesen sei IQVIA genannt, das als führender Anbieter neben verschiedenen Dienstleistungen auch Berichte und Datensätze an die Pharmaindustrie verkauft.  

Insgesamt gibt es für den Verkauf von digitalen Gesundheitslösungen also mehrere interessante B2B-Modelle, wobei sich diese mitunter mit anderen Modellkategorien überschneiden. Am meisten werden sie von Startups genutzt, die Dienstleistungen an MedTech- und Pharma-Unternehmen verkaufen. Eine direkte Umsatzgenerierung durch B2B-Modelle ist für diese beiden Branchen in bestimmten Fällen möglich, ein eingehendes Verständnis der Kundenbedürfnisse ist dafür allerdings unerlässlich. 

Indirekte Geschäftsmodelle

MedTech- und Pharma-Unternehmen setzen bei digitalen Gesundheitslösungen in erster Linie auf indirekte Geschäftsmodelle, entweder weil sie über Alternativen zu wenig Bescheid wissen oder weil diese Modelle umfassendere Möglichkeiten bieten. Zwar gibt es gesetzliche Auflagen, zum Beispiel dürfen in ein und demselben Kundengespräch nicht zwei Produkte beworben werden, dennoch lässt sich mit digitalen Gesundheitsangeboten auch der Verkauf etablierter Produkte steigern. Hier liegt oft großes Potenzial brach. In unseren Gesprächen mit Kunden erörtern wir daher verschiedene Möglichkeiten, wie eine DH-Lösung Mehrwert schaffen kann. Die folgenden Abbildungen 2 und 3 bieten eine Übersicht über die wesentlichen Insights und indirekten Werttreiber für Pharma und MedTech. 

Interessanterweise werden für das Management von DH-Lösungen immer noch selten interdisziplinäre Teams eingesetzt. Meist liegt die Zuständigkeit bei Commercial oder F&E. Das führt zu Silodenken und zwangsläufig zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Das größte Problem ist meist die Erfolgsmessung, da übliche Kennzahlen oft zu kurz greifen und Ergebnisse generell aufgrund von Doppelgleisigkeiten oder fehlenden Daten schwer quantifizierbar sind. Entscheidend ist, dass DH-Lösungen weder als optionales „Nice to have“ noch als Medikamente oder Medizinprodukte verstanden werden. Sie sind vielmehr Tools, die zum einen Daten generieren und zum anderen den Datenaustausch mit Nutzer:innen ermöglichen. Sie sind also gleichzeitig ein Produkt und ein Kanal. Ebenso wichtig ist, dass Unternehmen der MedTech- und Pharmabranche die generierten Datensätze nicht als Datensilos behandeln, sondern mit zusätzlichen internen und externen Datenquellen wie Marktdaten, medizinischen Daten (z.B. aus Verzeichnissen und Listen) und betriebswirtschaftlichen Daten zusammenführen. Nur dann können diese Unternehmen den tatsächlichen (indirekt erzielbaren) Mehrwert realisieren. 

Der Prozess der indirekten Einnahmeerzielung in Pharma und MedTech. Der Hauptanreiz für die Pharmaindustrie ist die Steigerung des Arzneimittelumsatzes

Strategien für die Zukunft: Mehrumsatz durch integrierte digitale Geschäftsmodelle

Die wichtigsten Insights aus diesem Artikel zum Thema neue Umsatzpotenziale durch digitale Gesundheitslösungen für Pharma und MedTech fassen wir hier noch einmal zusammen:

  • Mehr als bloß ein optionales „Nice-to-have“

    • Mangelndes internes Wissen führt oft dazu, dass MedTech- und Pharma-Unternehmen das Potenzial digitaler Gesundheitslösungen unterschätzen. Die Folge daraus ist geringe Akzeptanz und fehlendes Interesse bei den Entscheidungsträger:innen. Daher ist es wichtig, die relevanten Werttreiber zu identifizieren und so die nötige Aufmerksamkeit zu gewinnen.  
    • Digitale Gesundheitslösungen sind nicht bloß optionale Extras zu etablierten Produkten wie Medikamenten und Medizinprodukten. Vielmehr handelt es sich um strategische Tools, die in die übergeordneten Produktstrategien eingebunden und als solche gehandhabt werden sollten. 
  • Es gibt verschiedene direkte und indirekte Modelle

    • Für Digital-Health-Lösungen kommen verschiedene Umsatzmodelle in Frage. Direkte Umsätze sind zwar leichter zu messen, hingegen sind Vergütungen durch Krankenkassen bei D2C- oder B2B-Modellen schwieriger zu realisieren.  
    • Indirekte Modelle haben weiterhin oberste Priorität und erfordern definierte Ziele und Erfolgsmessgrößen.  
  • Individuelle Ansätze sind gefragt

    • Der Markt für digitale Gesundheitslösungen ist verglichen mit etablierten Medizinprodukten und Medikamenten noch ziemlich jung. Aus diesem Grund halten wir es für wichtig, die (wenigen) vorhandenen Erfolgsgeschichten und Konzepte zu teilen, um Aufklärung und Akzeptanz zu fördern. Offenheit für digitale Lösungen und die Bereitschaft zur Anpassung etablierter Prozesse (etwa mit Blick auf die Due Diligence) werden für MedTech- und Pharma-Unternehmen in Zukunft entscheidend sein. Zusätzlich ist für jede Lösung eine individuelle Analyse des passenden Geschäftsmodells erforderlich, unter Berücksichtigung vieler Aspekte. Dazu gehören: 
      • Definition des Umfangs, der Ansprüche und der Nutzer:innen entlang der Patientenreise. 
      • Frühzeitige Insights zu potenziellen Vergütungsmodellen und Anforderungen für einen soliden Business Case. 
      • Frühzeitiger Kontakt zu den Aufsichtsbehörden, um etwaigen Hürden und Problemen bei der Nutzung unterschiedlicher Vergütungsmodelle vorzugreifen. 

Wir hoffen, dass Sie aus diesem Artikel neue Erkenntnisse und Denkanstöße gewonnen haben. Im Zuge der digitalen Transformation des Gesundheitswesens steht Pharma- und MedTech-Unternehmen eine Reise bevor, die von immensen Potenzialen und Herausforderungen geprägt ist. Die strategische Einführung von DH-Lösungen bietet einen Weg, die Patientenversorgung neu zu definieren und sie zugänglicher und effizienter zu machen. Trotz aller wirtschaftlichen, regulatorischen und gesellschaftlichen Hürden versprechen die Widerstandsfähigkeit und die Innovationskraft der Branche eine Zukunft, in der DH ein integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung ist. Dieses globale Unterfangen erfordert Zusammenarbeit, den Austausch von Erkenntnissen und Erfolgen, um ein vernetztes Ökosystem im Gesundheitswesen zu fördern. Lassen Sie uns gemeinsam die Kraft der digitalen Gesundheit nutzen und eine Zukunft gestalten, in der die Technologie das Wohlbefinden fördert und den allgemeinen Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleistet. Der Weg ist komplex, aber das Versprechen der digitalen Gesundheit als Leuchtturm der Innovation und des Wandels kann uns den Weg weisen. 

Bei Anmerkungen, Anregungen oder Empfehlungen melden Sie sich bitte bei uns! 

Mitwirkende

Wir danken folgenden Kund:innen und Kolleg:innen für ihren Input und ihr Feedback zu diesem Artikel.

  • Stefan Weiß

    Dr. Stefan Weiß, MBA

    Principle Business Consultant

    CV

    Dr. Stefan Weiss ist Principle Business Innovation Consultant bei der Zühlke Gruppe und verfügt über breites Hintergrundwissen in den Neurowissenschaften kombiniert mit einer breiten Expertise in Geschäftsmodellen und Innovationsmanagement. Vor seiner Zeit bei Zühlke, gestaltete Stefan die Zukunft von Healthcare und Life Sciences im Innovationszentrum der Merck KGaA aktiv mit. Mit Leidenschaft treibt er die Digitalisierung der Pharma- und MedTech-Industrie mit Fokus auf innovative Geschäftsmodelle voran, bei denen er seine wissenschaftliche und wirtschaftliche Expertise optimal anwenden kann. Bei Zühlke erweitert er die technische Exzellenz um domänenspezifisches Know-How und stärkt damit die Partnerschaften mit Pharma- und MedTech-Kunden.

  • Dafina Taqi - Professional Business Consultant

    Dafina Taqi

    Professional Business Consultant

    CV

    Dafina joined the Zühlke in Eschborn in June 2023. In her BSc in Biology and MSc in Molecular Biomedicine with focus on Neurobiology, she gained deep experience in life sciences research at the University Hospital Frankfurt and industry experience in a Digital Health startup. By developing roadmaps, conducting patient-interviews and establishing relevant partnerships, she was responsible for the development of an ecosystem of digital health applications for different patient groups. She bridges science and business and with this combination pursues the goal of driving efficient improvements in the life science industry prompting by digitalization and start-up mentality.

  • Picture Johanna O'Donnel zuehlke

    Dr. Johanna O'Donnell

    Lead Data Consultant

    CV

    Johanna schloss ihre Promotion an der University of Oxford ab und spezialisierte sich auf KI-gestützte digitale Gesundheitslösungen. Seitdem arbeitet sie in den Bereichen MedTech und Primärversorgung an der Entwicklung und Evaluation von digitalen Innovationen. Bei Zühlke ist Johanna als Lead Data Consultant mit dem Fokus auf medizinische KI tätig.