People and Culture

Weibliche Rollenvorbilder in der Tech-Branche: Softwareentwicklerin Annabel Schiebol über ihren ungewöhnlichen Werdegang

Female rolemodels in the tech industry with Annabel form Zühlke
8 Minuten Lesezeit
Mit Insights von...

Annabels Weg ins Software Engineering war alles andere als direkt. In der Schule konnte sie sich kaum für technische Fächer begeistern. Auch fehlte es ihr an weiblichen Vorbildern in diesen Gebieten. Durch einen Zufall und jede Menge harte Arbeit und Selbstdisziplin hat es die heutige Requirements Ingenieurin dennoch geschafft. Heute engagiert sie sich sowohl im Job als auch nebenberuflich beim Verein Ready to Code dafür, dass Mädchen und junge Frauen einen einfacheren Zugang zu Programmierung und technischen Berufen erhalten. Annabel setzt viel daran, anderen das „Rolemodel“ zu sein, welches sie nie hatte.

Meinen Einstieg in den technischen Beruf verdanke ich einem Zufall. In der Schule war ich vor allem an Deutsch und Politik interessiert und stand mit Fächern wie Mathematik und Physik eher auf Kriegsfuß. Nach dem Gymnasium wollte ich ursprünglich Journalismus studieren. Per Zufall bin ich dann auf den Studiengang Audiovisuelle Medien gestoßen und habe mich für diesen entschieden. Neben Vorlesungen über Film und Fotografie, gehörten zum Grundstudium auch viele technische Fächer wie Physik, Mathematik und nicht zuletzt Programmierung. Hier setzte ich mich plötzlich mit Website-Entwicklung, Computerspiel-Programmierung und interaktiven Medien auseinander. Was einst meine gefürchtetsten Fächer waren, sollte schon bald meine ganze Faszination und Motivation anschüren.

Ich hatte das Glück, dass ich sehr gute Professoren hatte. Ich konnte zum ersten Mal etwas mit den Fächern Mathematik und Physik anfangen. Vor allem die Programmier-Vorlesungen haben mir sehr viel Spaß gemacht. Auch wenn der Einstieg sehr schwierig war. Ich erinnere mich gut, wie ich stunden- ja tagelang an meinen ersten Hello-World-Programmierversuchen saß. Aber die Motivation war da und irgendwann wurde bei mir der Schalter umgelegt und ich habe auf einmal vieles verstanden, was mir in der Schule noch schwergefallen ist.

Nach dem Bachelor war mir klar, dass ich mich auch im Master Studium weiter in Richtung Programmierung und Software Engineering spezialisieren möchte und habe mich deshalb für den Studiengang Angewandte Informatik entschieden. Auch hier war der Anfang sehr anspruchsvoll, weil mir einige Grundlagen fehlten, die in einem Informatik Bachelor Studium behandelt werden. Ich musste also Vieles aufholen, was mir jedoch gut gelang und ich konnte das Studium erfolgreich abschließen. Nun arbeite ich schon seit einigen Jahren in technischen Positionen und könnte nicht glücklicher mit meinem Werdegang sein.

Den Einstieg in Softwareentwicklung erleichtern: Ready to Code

Wenn ich auf meine eigene Schulzeit zurückblicke, sehe ich vieles, das man verbessern könnte, um Mädchen an technische Berufe wie das Software Engineering heranzuführen.  Allem voran die Art der Vermittlung und die individuelle Förderung. Ich hatte die Themen und Fächer, in denen ich nicht gut war, praktisch schon abgeschrieben. Auch weil ich nie das Gefühl hatte, dass sie mir im Leben nützen könnten. Viel zu selten wurde in Mathe und Physik die Anwendbarkeit in der Praxis gezeigt. Es erschien mir alles derart abstrakt, dass ich mich gar nicht damit befassen wollte. Im Studium, auch dank toller Professorinnen und Professoren, wurde mein Interesse plötzlich geweckt und gefördert.

Aus diesem Grund bin ich heute Mitglied im Verein Ready to Code in Stuttgart. Unser Ziel ist es, unterrepräsentierte Gruppen in der IT, für Programmierung und Technik zu begeistern und zu fördern. Wir machen Workshops für Schülerinnnen ab der 5. Klasse, in welchen es darum geht, den Mädchen erste Programmierkenntnisse beizubringen, um erste Berührungspunkte zu schaffen und Hemmungen zu überwinden.

Wir haben gemerkt, bei Mädchen ist das Interesse für IT und Programmieren genauso da ist, wie bei Jungen. Doch leider fehlen an Schulen oftmals die passenden Angebote. Mädchen und Jungen haben unterschiedliche Herangehensweisen. In gemischten Gruppen sind Mädchen oft zurückhaltend, kommen nicht aus sich heraus oder sind zu selbstkritisch. Doch beim Programmieren geht es ums Ausprobieren, Fehler machen, wieder korrigieren, neu ansetzen. Genau das fällt Mädchen oftmals schwerer als Jungen. Ready to Code hat den Bedarf erkannt, speziell für Mädchen diese Angebote zu schaffen, und genau da arbeite ich mit.

Weibliche Vorbilder in der Tech-Branche sind ungemein wichtig

Es gibt Studien, die zeigen, dass das Interesse an technischen Themen bei Jungen und Mädchen anfangs gleich ist, doch dass dieses bei Mädchen im Verlauf ihrer Kindheit und Jugend abebbt. Ein Grund dafür ist, dass Mädchen oftmals keine Vorbilder in technischen Berufen haben und auch durch das Umfeld weniger in technischen Themen gefördert werden. Während meiner ganzen Studienzeit hatte ich keine weiblichen Vorbilder. Ich war die einzige Frau in meinem Umfeld, die sich für IT begeistert hat. Wir waren damals 4 Frauen und 58 Männer in meinem Semester und es war geradezu ein Highlight für mich, auch mal eine Professorin zu sehen.

Heute ist das schon etwas anders. Allerdings sind die Hürden immer noch groß. Die gesellschaftlichen Rollenmodelle müssen immer noch kritisch hinterfragt und verändert werden. Genau da möchte ich ansetzen. Ich habe viel Zeit und Leidenschaft in meine Ausbildung investiert, die nicht immer ganz einfach war. Ich musste mir sehr viel selbstständig aneignen, um mit den anderen Studierenden im Master aufzuschließen. Im Nachhinein kann ich nur stolz darauf sein, als Quereinsteigerin mein Masterstudium der Angewandten Informatik als Jahrgangsbeste abgeschlossen und einen Preis für meine Masterarbeit erhalten zu haben. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich niemals als „Female Rolemodel“ bezeichnet. Doch durch meine Arbeit bei Ready to Code sehe ich, wie wichtig es für Mädchen und Frauen ist, weibliche Vorbilder im Software Engineering und der Tech-Branche zu haben. Deshalb ist es heute mein erklärtes Ziel, genau das zu sein.

Zühlke unterstützt mein Engagement

Seit über 2 Jahren bin ich nun bei Zühlke. In dieser Zeit hat sich mein Weg stets weiterentwickelt. Während ich als Softwareentwicklerin angefangen habe, bin ich nun vermehrt im Bereich Projektleitung und Requirements Engineering tätig. Dieses Jahr habe ich mein erstes Projekt betreut, in dem ich tatsächlich keine einzige Zeile Code geschrieben habe. Diese Position an der Schnittstelle finde ich sehr spannend. Ich bin eine Vermittlerin zwischen unseren Kunden und meinen Kolleginnen und Kollegen. In dieser Rolle kann ich nicht nur ein Projekt, sondern auch die Menschen, mit denen ich arbeite, prägen.

Zühlke ist ein sehr offenes Unternehmen. Wir haben eine tolle Feedback-Kultur und ich kann hier sehr viel bewegen. Ich fühle mich wohl dabei, auch heikle Themen anzusprechen. Seit letztem Jahr bin ich sogar Teil einer Diversity-Arbeitsgruppe, durch welche ich noch mehr bewirken kann. In dieser geht es vor allem darum, Vielfallt in all ihren Facetten im Unternehmen sichtbar zu machen, Prozesse barrierefrei und fairer und auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen. Aber auch in meiner täglichen Arbeit bin ich immer darum bemüht, einen Perspektivenwechsel zu fördern. Oftmals reicht es schon, wenn ich meine Sicht der Dinge einbringe, meinem Gegenüber zeige, wie ich etwas erlebt habe, um den Status quo zu hinterfragen. Ebenso versuche auch ich immer offen für andere Sichtweisen zu sein und mich und meine Ansichten auch zu hinterfragen. Ich finde es toll, dass ich nicht nur bei meinem Engagement für Ready to Code, sondern auch bei meiner täglichen Arbeit die Möglichkeit habe, Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen zu fördern und zu unterstützen.  

Zukunft für Frauen in MINT-Berufen

Es ist sehr spannend zu sehen, dass gerade in MINT-Berufen Frauen immer noch viel langsamer aufholen als in der Politik oder anderen Berufen. Frauen studieren zwar technische Berufe, doch sie kommen dennoch nicht in die entsprechenden Jobs oder zumindest nicht weit. Eine Hürde soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sein, doch das ist in meinen Augen ein Paradoxon, denn gerade in den IT-Berufen hat man sehr oft flexible Arbeitszeiten. In kaum einem anderen Beruf ist es so einfach in Teilzeit oder von zu Hause aus zu arbeiten. Die Vereinbarkeit ist gerade in IT-Berufen oder sollte zumindest dort gegeben sein.

Frauen, die sich für technische Berufe interessieren, sollten keine Angst vor dem Einstieg haben. Es erwartet sie ein äußerst diverser Arbeitsmarkt mit unendlich vielen Gestaltungsmöglichkeiten, sowohl in Bezug auf Arbeitszeiten, den Standort aber auch die Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Dafür ist mein Werdegang das beste Beispiel: Ich wollte zunächst etwas mit Medien machen, habe danach als Softwareentwicklerin gearbeitet und bin jetzt in der Projektleitung tätig. Wer weiß, was als nächstes kommt! Die Möglichkeiten in der Tech-Branche und im Software Engineering sind derart vielfältig. Alles was es braucht ist etwas Mut, Leidenschaft und Überzeugung – und der Rest wird folgen.

FOTO: Christian Reinhold